WIRTSCHAFTSSPIEGEL Thüringen – Ausgabe 5/2022

Thüringen 6 Als Bodo Ramelow am 1. November 2021 sein Amt als Bundesratspräsident antrat, steckte das Land noch mitten in der Pandemie. Mittlerweile ist diese Krise vom Krieg in der Ukraine überlagert worden. Fragt man Bodo Ramelow nach einer vorläufigen Bilanz der Amtszeit, überrascht er mit einer spontanen Antwort: „Ich bin erstmal froh, dass ich überhaupt etwas tun konnte. Meine beiden Amtsvorgänger waren da viel schlechter dran. Es lief zwei Jahre lang ja fast nichts.“ Dann wird er konkreter. Es ginge ihm beim Motto der Ratspräsidentschaft um zweierlei: einerseits das Zusammenwachsen von Ost und West, aber andererseits genauso auch um „unsere Fähigkeit, gemeinsam als Bundesrepublik Deutschland in all ihren Regionen und Landesteilen nachhaltig Wachstum zu gestalten.“ Dabei hat er nicht zuletzt auch europäische und globale Aspekte im Blick. Auf seinen Reisen, die den Ministerpräsidenten während seiner Bundesratspräsidentschaft unter anderem nach Polen und Rumänien sowie in den Jahren zuvor nach Vietnam geführt haben, habe er viele Gespräche geführt, in denen es vor allem um Transformation ging. Dabei sei er gerade als Vertreter Thüringens ein gefragter Gesprächspartner gewesen, denn im Ausland werde Thüringen als Musterbeispiel für eine gelungene Transformation gesehen. Ramelow findet, wir seien nach wie vor konfrontiert mit einem merkwürdigen Auseinanderklaffen der Wahrnehmung der positiven aktuellen Lage Thüringens einerseits und dem Blick auf die vergangenen drei Jahrzehnte ostdeutscher Transformation andererseits. Heißt: Die Stimmung ist schlechter als die Lage. Und: „Wir können Transformation, das haben wir bewiesen. Andere können von unseren Erfahrungen profitieren“, plädiert er für mehr Thüringer Selbstbewusstsein. Perspektive wechseln, um andere zu verstehen Dies sei allerdings keine Einbahnstraße. Auch wir in Deutschland seien dazu angehalten, die Perspektive zu wechseln, von Nachbarländern zu lernen und gelegentlich mit deren Blick auf aktuelle Herausforderungen zu schauen, um diese zu verstehen. Die osteuropäischen Länder hätten beispielsweise viel eher das Gefahrenpotenzial erkannt, dass von Putin ausgehe. Als er auf dem Krakauer Flughafen die ukrainische Präsidentenmaschine gesehen habe, die dorthin in Sicherheit gebracht wurde, oder die Vielzahl an Flugabwehrgeschützen neben dem Rollfeld eines Flughafens in Rumänien, sei ihm vieles klarer geworden. „Wir hätten besser zuhören sollen“, sagt Ramelow. Man müsse die Ängste der Balten und Osteuropäer verstehen, auch wenn einem manche der politischen Akteure nicht gefielen. „Wir brauchen einen Weltfriedensrat“ Dieses ‚einander zuhören‘ sei eine wichtige Grundlage, wenn es darum geht, zusammen zu wachsen. Er selbst werde immer zuhören, wenn jemand reden wolle. Allerdings beobachte er auch beängstigende Tendenzen. Die Anti-Corona-Proteste hätten sich in weiten Teilen zu Pro-Putin-Kundgebungen gewandelt – oftmals mit den gleichen Akteuren und Initiatoren. Dabei schwinge immer auch Anti-Amerikanismus mit. Und dann beweist der Linken-Politiker, was er damit meint, einander zuzuhören und die Perspektive der anderen einzunehmen: Er könne durchaus nachvollziehen, wenn Kritiker darauf verweisen, welche Rolle der Westen und insbesondere die USA in anderen Konflikten gespielt hätten. Niemand dürfe sich als Weltpolizist aufspielen, sagt Ramelow, der mit den Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg im Westen großgeworden ist. Deshalb plädiert er für eine grundsätzlich neue Ordnung in den internationalen Beziehungen. „Wir brauchen einen Weltfriedensrat“, sagt Ramelow und verweist auf die guten Erfahrungen, die die internationale Gemeinschaft mit der KSZE (Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) gemacht habe. Ein solches Instrument müsse es auf allen Kontinenten geben, was dann in einen Weltfriedensrat münden könn- „Wenn die Gräben breiter werden, müssen wir längere Brücken bauen“ Ministerpräsident Bodo Ramelow und seine Bundesratspräsidentschaft Thüringen hat noch bis Ende Oktober die Bundesratspräsidentschaft inne. Damit ist Ministerpräsident Bodo Ramelow auch Präsident der Länderkammer. Ein Amt, dass eher repräsentativ denn politisch mächtig ist. Ein Bundesratspräsident wirkt durch die Kraft des Wortes, wird oft gesagt. Bodo Ramelow gehört zu den Politikern, deren Worte durchaus Kraft entfalten können. Ob diese Kraft aber auch die erhoffte Wirkung entfaltet hat, wollte WIRTSCHAFTSSPIEGEL-Chefredakteur Torsten Laudien im Gespräch mit dem doppelten Präsidenten erfahren. Immerhin lautet das Motto der Ratspräsidentschaft „Zusammen wachsen – Zusammenwachsen“.

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